#NullachtEinTeam

FSV 08 Bietigheim-Bissingen e.V.

Wolfgang Scheidt und seine Schiedsrichter

Schiedsrichter!  Welch ein Begriff in der Welt des Sports. Welch emotionales Reizwort für Abermillionen von Menschen. Und wie relevant doch für alle Wettkämpfe. 08 Bissingen kann sich glücklich schätzen, einen Spezialisten als diesbezüglichen Chef  zu haben. Seit sieben Jahren kümmert sich der 70-jährige Routinier um die Referees bei Nullacht. Sein Engagement und Können zeigen längst Spuren: Seit drei Jahren stellt 08 mehr Schiedsrichter  als der Verein haben müsste. Im Bezirk Enz/Murr sind wir damit der Club, der mit 17 Schiedsrichtern die meisten hat. Wir haben den stets besonnenen, wertvollen Mitarbeiter interviewt.

Hallo Wolfgang, herzlichen Glückwunsch zur Wahl des Vizepräsidenten der Schiedsrichter-Gruppe  Ludwigsburg – oder ist man da gar nicht so sehr zu beglückwünschen?…

Dazu gibt es nicht viel zu beglückwünschen. Es ist ein Ehrenamt, in dem man allerdings viel gestalten kann. Man arbeitet und entscheidet im Hintergrund in Abstimmung mit dem SR-Obmann. Ich denke, dass ich in den sechs Jahren meiner bisherigen Vize-Tätigkeit sehr viel Positives in der Gruppe Ludwigsburg  erreichen konnte.

Im Übrigen ist meine Hauptaufgabe in unserer Gemeinschaft  die SR-Einteilung zu den Spielen der Frauen- und der Junioren-Mannschaften im Bezirk Ludwigsburg. Hier sind im Durchschnitt rund 60 Spiele / Woche mit Unparteiischen zu besetzen.

Aus wie viel Schiedsrichtern setzt sich dieses Team zusammen? Wer ist der Boss? Welchen Anteil haben Mädchen/Frauen? Welchen Rang hat Euer Bezirk im Vergleich zu anderen Bezirken? Wie viel Fußball-Schiedsrichter gibt es in Deutschland?

Die Vereine im Bezirk Ludwigsburg müssten 245 Schiedsrichter stellen. In der Gruppe Ludwigsburg sind aktuell 160 Personen  für Spielleitungen gemeldet. Davon sind aus den unterschiedlichsten Gründen aber nur 134 einsetzbar.

Neuer Obmann ist bei uns Daniel Mössinger (SGV Hochdorf). Der gesamte Ausschuss wurde zum Teil mit neuen, überwiegend jungen Schiedsrichtern besetzt. Die neuen Ideen werden bereits umgesetzt. Bei uns leiten sieben Frauen / Mädchen Spiele.

In Deutschland gibt es laut „wikipedia“ rund 71 500 Schiedsrichter (Stand: 1. Januar 2015). Bei etwa 100 000 Spielen pro Wochenende in Deutschland reicht diese Zahl jedoch nicht aus, weshalb viele Schiedsrichter mehrere Spiele pro Woche leiten oder zum Beispiel die untersten Klassen von Jugend- oder nicht aufstiegsberechtigten Seniorenmannschaften nicht mit offiziellen Schiedsrichtern angesetzt werden können. Die Zahl der Schiedsrichter ist damit in den letzten fünf Jahren um etwa zehn Prozent geschrumpft.

Seit „Menschengedenken” klagen (auch) die Fußball-Verbände über zu wenig Schiedsrichter. Ist das in Eurem Kreis auch so? Kannst Du Soll- und Ist-Zahlen nennen? Wo konkret liegt das Problem?

Die Situation ist in allen Bezirken ähnlich. Die Bereitschaft,  Spiele zu leiten, nimmt ständig ab. Es gelingt immer seltener, Schiedsrichter, die ihre Laufbahn beenden, zu ersetzen. Man sieht das auch deutlich an den Teilnehmerzahlen der Neulingskurse: Im Jahr 2013 hatten wir in Ludwigsburg 42 Kursteilnehmer. Für den letzten Kurs 2017 hatten wir 24 Anmeldungen. 21 haben die Prüfung bestanden. Von den 21 pfeifen heute nur noch 15.

Es gibt viele Gründe, warum die Anzahl der Unparteiischen  immer weiter zurück geht. Die wesentlichen Gründe sind: Die Vereine bemühen sich nicht wirklich, Schiedsrichter  zu finden. Die Strafen für fehlende sind nicht angemessen. Geldstrafen werden von den Vereinen locker bezahlt.

Dazu kommt, dass die Geldstrafen völlig ungerecht sind. Beispiel: Ein Verein, der einen Schiedsrichter benötigt, diesen aber nicht hat, bezahlt 406 Euro. Ein Verein, der 17 Schiedsrichter benötigt, hat nur zwei. Ihm fehlen also 15 zum Soll. Dieser Verein bezahlt 886 Euro. Dies kann niemand nachvollziehen!

Mit welcher Motivation sollte sich der Verein, dem 15 Schiedsrichter fehlen, um weitere kümmern? Die Strafgebühren werden aus der Portokasse bezahlt. Mein Vorschlag: Bei Vereinen, die über einen festzusetzenden Zeitraum ihr Soll nicht oder nur teilweise erfüllen, erfolgt ein Punktabzug in der nächsten Saison oder die 1. Mannschaft darf nicht aufsteigen.

In unserem Bezirk erfüllten in der Saison 2016 / 2017 nur insgesamt 14 Vereine ihr SR-Soll. 46 Vereine haben weniger als erforderlich. Es fehlen 135 SR zur Soll-Zahl. Die Vereine mussten mehr als 20 000 Euro Strafgebühren an den WFV bezahlen.

Unsere Unparteiischen in Ludwigsburg sind im Durchschnitt 35 Mal  / Jahr im Einsatz. Darunter sind welche mit mehr als 60 Einsätzen / Jahr. Der älteste ist bei uns 80 Jahre alt und leitet noch mehr als 60 Spiele / Jahr!

Bei unseren jüngeren Schiedsrichtern gibt es Einsatzbeschränkungen unterschiedlichster Art. Hier stehen immer häufiger Schule, Ausbildung und Beruf der Schiedsrichterei  im Weg. Oft spielen diese Akteure auch noch selber aktiv Fußball, sodass sie kaum einsetzbar sind.

Die Referees in Deutschland haben nicht unbedingt alle den besten Ruf. Damit meine ich nicht nur einige peinliche öffentlich ausgetragene Scharmützel auf Bundesliga-Ebene oder das Leistungsniveau Einzelner, sondern mitunter auch kaum mehr nachvollziehbare Entscheidungen bei Auf- und Abstiegen von Schiedsrichtern. Würdest Du das so bestätigen? „Leidet” die Basis darunter?

Die öffentlich ausgetragenen Scharmützel tragen sicher nicht zum guten Ruf unserer Schiedsrichter bei. Aber das wird sich wieder beruhigen. Das Thema „Leistungsniveau“ ist da schon schwieriger zu beurteilen. Ich glaube nicht, dass das Niveau unserer Top-SR wesentlich geringer ist als früher. Die Leistung ist für die Öffentlichkeit durch die neuen Medien viel transparenter geworden. Alle müssen lernen, damit umzugehen. Direkte Auswirkungen auf die Basis hat das aber kaum.

Auch in den Spielklassen ab der Bezirksliga werden die Leistungen der Schiedsrichter von Beobachtern bewertet. Das ist dann die Basis für Auf- und Abstieg unserer Kollegen. Das ist sicher kein optimales System, aber etwas Besseres haben wir nicht.

Was war ein ganz besonderes Erlebnis für Dich als Unparteiischer – hast Du eine witzige oder spektakuläre Anekdote parat?

Eine sehr unangenehme Erfahrung als Schiedsrichter hatte ich vor etwa 30 Jahren. Nach einer Freistoßentscheidung rannte ein Spieler aus ungefähr 15 Metern Entfernung auf mich zu, stieß mich um und trat mir dann, nachdem ich am Boden lag, zwei Mal kräftig in den Magen. Es folgten eine Gerichtsverhandlung (Ergebnis: 700 Euro Schmerzensgeld für mich) und eine neunmonatige (viel zu geringe Strafe) Sperre für den Spieler. Nach solch einem Vorfall denkt man schon darüber nach, ob man das Ehrenamt des Unparteiischen  weiter ausüben solle.

Aber die Tätigkeit als Schiedsrichter bereitet auch sehr viel Freude. Zum Thema gäbe es noch viel zu sagen. Aber das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen.

Info:  Der heutige Bissinger Wolfgang Scheidt wurde vor 70 Jahren in Mühlhausen/Thüringen geboren. Der gelernte Elektroniker und Reklamationsmanager war von 1964 bis 1968 Schiedsrichter, ehe eine Familie gegründet wurde. 1973 setzte er sein SR-Hobbie fort. Bedingt durch viele Umzüge seiner Eltern hatte er sowohl in Lüdenscheid  als auch in Ulm, in Gerlingen und in Botnang Fußball gespielt. Bereits im Alter von 20 Jahren war seine Fußballkarriere leider wegen Rückenproblemen beendet. Seit 2006 ist er Mitglied bei Nullacht. Aktuell pfeift er noch 60 Spiele von Junioren und Aktiven bis Kreisliga A  pro Jahr.