Scouting professioneller denn je
Christian Gentner und Daniel Ebbert gewähren im Bissinger 08-Heim Einblicke in die facettenreiche Profi-Welt des VfB Stuttgart
Ist das medial gepriesene Supertalent aus Timbuktu Links- oder Rechtsfüßer? Wie steht es um sein Passspiel, um seine Teamfähigkeit und, und, und? Derlei Fragen sind heutzutage im Sport, explizit im Fußball, kein aussichtsloses Unterfangen mehr. Es gibt weltweit eine Fülle an Quellen, aus denen Vereine unzählige Daten abschöpfen können, um diese dann final zu einer wertvollen Transfer-Analyse zu legieren. Kaderplaner Daniel Ebbert und Sportdirektor Christian Gentner vom VfB Stuttgart zeigten am Dienstagabend im Vereinsheim des FSV 08 Bietigheim-Bissingen den Fans auf, was alles dahintersteckt.
Die beiden Hochkaräter des 140.000-Mitglieder-Klubs aus Bad Cannstatt waren zusammen mit VfB-Assistentin Vorstand Sport Yvonne Walker auf Initiative des Nullacht-Urgesteins und VfB-Edelfans Dieter Braun an den Bruchwald gekommen und hinterließen einen ausgesprochen sympathischen Eindruck – ähnlich wie ein Jahr zuvor schon VfB-Boss Alexander Wehrle. Gerhard Wittendorfer vom FSV 08 hatte die lebhaften und kurzweiligen eineinhalb Stunden moderiert.
Daniel Ebbert, der durch Sportmanagement- und Sportkommunikation-Studien an der Deutschen Sporthochschule Köln (Köln ist nach wie vor sein Wohnort) gestählte Manager für Spieler-Rekrutierung, schilderte die für Normalbürger schier unglaublichen, professionellen Möglichkeiten und Strategien, Spieler und deren Stärken und Schwächen komplett zu erfassen, sie mit den Qualitäten anderer zu vergleichen und daraus Schlüsse zu ziehen. Das heißt zusammen mit dem jeweils kontaktierten Trainer und anderen das Für und Wider eines Spieler-Kaufs zur Abwägung darzulegen.
Das neunköpfige, fachspezifisch differenzierte VfB-Scouting-Team tingelt in Zeiten des technisierten, immer professionelleren Informationsgeschäftes Fußball nach den Worten des passionierten Golfspielers nicht mehr von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, um alles, aber auch alles über das fußballerische Objekt möglicher Begierde zu erfahren, auch menschlich ein Gefühl von diesem zu bekommen, sondern bedient sich neben dem Live-Kontakt immer mehr an Daten-Portals (Daten-Radars) und Videos internationaler Plattformen, die akribischer kaum sein können.
Klartext: Per Mausklick lässt sich inzwischen nahezu aus jedem Winkel der Welt herausfinden, welcher Akteur gut verteidigt, wieviel Ballkontakte er so hat oder etwa, ob er gut dribbelt beziehungsweise letztlich in das System des VfB passen könnte. Scouting ist demnach unverzichtbar, essenzieller und professioneller denn je geworden.
Sehr interessant fürs Publikum im 08-Heim waren dabei die auch grafisch aufgezeigten Leistungsunterschiede von Spielern bei früheren und jetzigen Klubs, zum Beispiel von Finn Jeltsch (1. FCN und VfB) und dem auf dem Spielfeld „online“ präsenten Nick Woltemade (Elversberg, Bremen, VfB) sowie auch der ganz konkrete Bezug auf die relevante, starke Trainerqualität in Stuttgart. „Wir verpflichten keinen Spieler, mit dem nicht zuvor der Trainer gesprochen hat. Oft wollen das aber auch die Spieler selbst. Uns ist allerdings auch die charakterliche Komponente wichtig“, erläuterte Christian Gentner die auch perspektivisch behandelten Themen, gängigen Praktiken. Diese beginnen bereits, wenn auch weniger intensiv, mit Regionalscouts im Jugendbereich.
Dass es auch zu „Fehlgriffen“ kommen kann, führten die VfB-Repräsentanten darauf zurück, dass man es mit Menschen zu tun habe und es Faktoren geben könne, die nicht prognostizierbar seien: Verletzungen, Ereignisse im privaten Umfeld, Trainer-Wechsel.
Fazit beim Scouting: „Es geht bei uns nicht ausschließlich um Daten – sondern entscheidend ist, wie man sie interpretiert. Die Qualität der Analyse ist alles“, so Fachmann Ebbert, der in Sachen auch für den Fußball immer bedeutenderem KI davon sprach, dass man hier „noch nicht so weit“ sei, Schulungen mache, letztlich aber vieles erwarte.
Was schließlich das Klima beim fünffachen Deutschen Meister beziehungsweise dessen Chefetage anbelangt, sagte der frühere Nationalspieler und heutige Hobby-Golfer Christian Gentner, dass bei Beratungen inklusive Online-Call „alles sehr genau besprochen wird, dass dies oft eine harte Nuss, mitunter ein streitbarer Austausch“ sei, „insgesamt ein gutes Klima“ vorherrsche. „Das passt bei uns“, lobte Gentner auch VfB-Boss Dietmar Allgaier.
(Text und Foto: Walter Christ)